Page 9 - DRW Gemeinsam - 02/2022
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Leben in der Einrichtung „Lästig, aber nicht Einrichtung für Menschen
aktiv mitzugestalten. „End- belastend“ mit Behinderung. Auch nach
lich fragt uns mal jemand“, den langen Arbeitsjahren in
wiederholt Leonhard Haugg Ganz so drastisch sehen der Zentralküche und im
mehrmals, wie um sich zu Martina Grindinger (61) und Mutterhaus in Ursberg
versichern, dass das auch Josef Wiefarn (73) ihre Lage macht sich die 68-Jährige
wirklich der Fall ist. Vier Wo- zwar nicht. Das Paar hat sich noch gerne auf ihrer Wohn-
chen Zimmerquarantäne hat auch während der kontakt- gruppe nützlich. Abfall aus-
er bereits hinter sich. Die beschränkenden Maßnah- leeren, Getränke holen und
Hälfte der Zeit, weil er selber men sein sonniges Gemüt kleinere Botengänge geben
positiv auf Corona getestet bewahrt, hatte jedoch als ihrem Tag in normalen Zei-
wurde. Die andere Hälfte auf Gehörlose im Ursberger ten Sinn und Struktur. Dabei
ärztliche Empfehlung in frei- Haus Antonius besondere Anna Maria Geissler fühlt sich findet sie immer genug Zeit
williger Selbstisolation, weil Schwierigkeiten beim Lip- gut aufgehoben im Ursberger für einen kleinen Plausch
Mitbewohner positiv getestet penlesen wegen der Masken. Seniorenheim Haus Johannes. mit Freunden und Bekann-
wurden. „Körperlich war das Mehrere durchsichtige Vari- ten, die sie unterwegs trifft.
anten wurden ausprobiert und erklärt: „Ob geimpft Mit den Kontaktbeschrän-
und als untauglich verwor- oder ungeimpft, wir werden kungen fiel das alles weg.
fen, bis endlich eine befrie- von jeder Pflegekraft glei-
digende Lösung gefunden chermaßen liebevoll um-
war. Das Einkaufen in Ge- sorgt. Persönlich lege ich
schäften, wenn das Personal großen Wert auf eine Imp-
keine Gebärdensprache be- fung, aber wenn Personal
herrscht, bleibt dennoch gehen muss, fürchte ich um
schwierig. Auf Ausflüge und unsere Versorgung.“ Ball-
Kaffeehausbesuche hoffen spiele und Kegelnachmittage
sowohl Martina Grindinger fänden innerhalb der Wohn-
als auch Josef Wiefarn für gruppe statt, aber begleitete
das kommende Frühjahr. Spazierfahrten hätten be-
Josef Wiefarn ist es aber reits wegen Personalknapp-
wichtig zu betonen: „Mir heit ausfallen müssen. „Das
Josef Wiefarn und Martina fehlt nichts. Ich bin glück- ist für mich als Rollstuhlfah- Rudolf Koller hat erst im
Grindinger vor Sankt Anto- lich, dass ich lebe. Corona ist rer besonders wichtig, weil vorigen Herbst ein Zimmer
nius in Ursberg, wo beide zu- lästig, aber nicht belastend.“ ich ja sonst nicht rauskom- im Ursberger Seniorenheim
hause sind. Die Gebärde mit „Wenn Personal me“, erklärt Rudolf Koller. Haus Johannes bezogen.
den drei erhobenen Fingern „Ich bin jetzt 83 Jahre alt und
bedeutet „Ich liebe dich“. gehen muss …“ komme vom Dorf. Für meine „Das konnte ich alles nicht
Ähnlich sehen das auch alten Kumpel ist es schwie- mehr machen. Ich habe mich
nicht so schlimm“, schränkt Anna Maria Geissler und rig und umständlich, einen noch nie so nutzlos gefühlt“,
er ein, „aber seelisch hat es Rudolf Koller. Beide sind seit tagesaktuellen Test zu be- erzählt Ingrid Grimme und
mich sehr angegriffen.“ Auch einiger Zeit Bewohner des kommen, nur um mich zu bedauert: „Seit das Virus in
dass er wegen der Abstands- Seniorenheims Haus Johan- besuchen und umher zu Ursberg rumgeht, hab` ich
regeln in der Kirche mit sei- nes in Ursberg. Und beide schieben.“ Gäste wieder auf auch kein Fläschle Bier im
nem Rollstuhl nur ganz hin- sind übereinstimmend voll dem Zimmer zu empfangen Bräuhaus mehr getrunken.“
ten Platz findet, macht ihm des Lobes über die Pflege- und bei vertraulichen Ge- Am vierten Advent im vor-
zu schaffen. „Da hör ich fast kräfte. „Das Personal hier ist sprächen zu bewirten, fehlt vergangenen Jahr sei sie
gar nichts und außerhalb wirklich freundlich und kom- beiden. Der nüchterne Besu- positiv auf das Coronavirus
vom Gottesdienst findet petent. Wir haben es so cherraum im Erdgeschoss getestet worden. „Ich durfte
doch überhaupt nichts mehr schön hier. Es wird alles ge- des Hauses ist einfach zu nicht mehr raus aus dem
statt.“ Maibaumfest, Ad- tan, um uns zu schützen und unpersönlich. Zimmer“, erzählt sie, „und
ventsmarkt, Biergartenbesu- uns diese schwere Zeit zu an Weihnachten stand der
che, Ausflüge und Feiern – erleichtern“, bekräftigen bei- Das Gefühl der eigenen Baum ganz alleine im Wohn-
alles Fehlanzeige. „Nur noch de. Gerade deshalb beschäf- Nutzlosigkeit zimmer.“ Die Gespräche mit
ein Zimmer mit Telefon und tigt Anna Maria Geissler eine Aufmunternde Gespräche den Mitarbeitern hätten ihr
manchmal hab` ich Therapi- große Sorge. Die 87-Jährige und das Ratschen in vertrau- sehr gefehlt, besonders, da
en. Mit Corona ist für mich verfolgt die öffentlichen ter Runde fehlen auch Ingrid sie ja nahezu symptomlos
das Leben gestorben.“ Diskussionen um die Impf- Grimme in Ursberg. Sie erkrankt war. „Kein Fieber, kein
pflicht beim Pflegepersonal wohnt in Haus Florian, einer Kopfweh, einfach nichts.
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