Page 6 - DRW Gemeinsam - 10/2020
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Thema

                                                                              ändern?“ Der Betroffene fokussiert seine
                                                                              Tatkraft auf den Bereich, in dem er den
                                                                              größten Einfluss nehmen kann, den so-
                                                                              genannten “Circle of influence“.

                              PSYCHOSOZIALE                                   Resiliente Menschen zeichnen sich wei-
                                GESUNDHEIT                                    ter durch eine Haltung des Optimismus
                                                                              aus. Ohne die Risiken einer Herausfor-
                                                                              derung zu negieren, suchen sie nach
                                                                              den positiven Aspekten in der Verände-
                     Opferrolle verlassen –  Selbstmotivation  Verantwortung  übernehmen  Beziehungen gestalten  Netzwerkpartner  Zukunft gestalten  Copyright "Crescendo - Psychosoziale Gesundheit"  rung und richten ihren Blick immer wie-
                                                                              der bewusst darauf. Damit diese Hal-
                                                                              tung nicht in ein naives, pseudo-positi-
                                                                              ves Denken abrutscht, das seine Gren-
                                                                Vision
                                                                              zen in der Realität schnell findet, muss

                                                                              Hoffnung gespeist werden: Worin grün-
                                                        LÖSUNGS-              der Optimismus von einer begründeten
              OPTIMISMUS           AKZEPTANZ                                  det sich meine Hoffnung?
                                                       ORIENTIERT             Die dritte resiliente Einstellung ist die

                                                                              Lösungsorientierung, die den Blick im-
       Wie man sich dem Wandel anpassen kann                  mer zukunftsweisend nach vorne ausrichtet. Die gegentei-
       „Survival of the fittest“ – Kaum eine Formulierung von Char-  lige Haltung der Problemfokussierung wird in der Regel
                                                              mit wiederkehrendem Jammern und Betrauern der „guten,
       les Darwin hat so viele Missverständnisse hervorgerufen    alten Zeit, in der alles besser war“ begleitet. Ein lösungs-
       wie diese. Die Sozialdarwinisten machten daraus: „Nur der   orientiert denkender Mensch hingegen sucht entgegenge-
       Stärkste überlebt.“ Im England des 19. Jahrhunderts ver-  setzt nach alternativen Lösungsoptionen, die meist prag-
       stand man unter „fit“ allerdings, „passend“, „tauglich“ oder   matisch und ebenso unkonventionell sein können. Er
       auch „bequem“. Deshalb gilt: Es ist nicht die stärkste Spezies,   weiß, dass es ein „Sowohl-als-auch“ statt nur ein „Entwe-
       die überlebt, auch nicht die intelligenteste. Es ist diejenige,   der-oder“ gibt und kann deshalb auch ungewohnte Per-
       die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.          spektiven einnehmen.

       Aber wie kann man diese Anpassungsfähigkeit trainieren?
       Im Jahr 2003 wurden erstmals sieben Resilienz- bzw. psy-  Beispiel Samuel Koch
       chologische Schutzfaktoren, die sogenannten „7 Säulen   Ein herausragendes Beispiel für resilientes Verhalten im
       der Resilienz“, von den amerikanischen Psychologen Karen  Wandel ist Samuel Koch, dessen Leben sich im Dezember
       Reivich und Andrew Shatté definiert. Resi-                           2010 durch seinen Unfall in der TV-Sen-
       lienz meint hier so viel wie „psychische            Krisen suchen    dung „Wetten, dass..?“ völlig verändert hat.
       Widerstandskraft“.                                                   Der tetraplegisch gelähmte Koch äußert in
       Ihre Überlegungen stützten sich auf For-        wir uns nicht        einem Interview mit dem Evangelischen
       schungsergebnisse einer 40-jährigen       freiwillig aus.            Sonntagsblatt für Bayern auf die Frage,
       Langzeitstudie zur psychischen Gesund-                               welcher Fehler denn passiert wäre:
       heit von Kindern, die sich unter schwierigsten Bedingungen   „…Das, was passiert ist, ist einfach Schicksal. Es hilft mir
       zu gesunden und lebensbejahenden Menschen entwickel-   gar nichts, darüber jeden Tag zu grübeln. Ich schaue lieber
       ten. In ihrem Modell lassen sich drei nützliche Haltungen   nach vorne und kämpfe jeden Tag von Neuem um einen
       und vier konkrete Verhaltensweisen unterscheiden, um   Fortschritt für meinen Körper.“
       eine Krise erfolgreich zu meistern:
       Eine der drei Haltungen ist die der Akzeptanz. Wie wir bereits   Vier Jahre nach dem lebensverändernden Unfall besteht
                                                              Koch sein Schauspielstudium – seine Abschlussarbeit trägt
       bei Richard Streich gesehen haben, nimmt die Energie zur   den Titel: „Die Entdeckung des Schönen in der Reduktion“.
       Bewältigung einer Veränderung wieder zu, sobald eine Ak-
       zeptanz der Situation gelungen ist. Die Einstellung zur „Ak-  Und spätestens hier spüren wir, dass im Kern einer Krise
       zeptanz einer Situation“ wird geprägt durch eine gründliche   die Chance für Weiterentwicklung steckt. Wir suchen uns
       Reflexion der Sachlage mit Fragen wie: „Was muss ich in die-  Krisen nicht freiwillig aus. Es sind vielmehr ein notgedrun-
       ser neuen Situation akzeptieren? Worauf habe ich Einfluss?   genes Entdecken und Erobern neuer Möglichkeiten, sowie
       Worauf habe ich keinen Einfluss? Was lässt sich nicht (mehr)   die Erweiterung des bestehenden Kompetenzspektrums.




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